Dienstag, 28. Januar 2014

Ruth Kirchgraber, Hausfrau, Altstätten, pensioniert



Als Jugendliche träumte sie vom einfachen Leben auf dem Land. Mit 27 lernte sie einen Künstler aus dem Rheintal kennen und heiratete ihn. Mit ihren drei Kindern lebten sie in einfachsten Verhältnissen in diversen alten Bauern-häusern des Oberen Rheintals. Mit dem Auszug der Kinder zog sie zu ihrem Ehemann in dessen Elternhaus am Altstätterberg, um dort ihr gemeinsames Projekt fortzuführen, kreativ tätig zu sein und mit möglichst wenig Luxus auszukommen. Heute lebt sie dort alleine mit ihrem vierjährigen Kater.
Sie liebt es, von dem zu leben, was die Natur zur Verfügung stellt: Sie sucht Teepflanzen und trocknet sie. Sie verarbeitet die Früchte und Beeren ihres Grundstücks zu Kompotten und Konfitüren, welche sie zu einem beträchtlichen Teil verschenkt. Sie pflanzt gerne Gemüse an, mal mehr, mal weniger. Sie bäckt auch gerne mal selber ihr Brot.
Missgunst ist nicht ihr Ding. Sie achtet auch heute noch auf ein friedliches Miteinander, sucht das Gemeinsame.

„Ein nie verwirklichter Jugendtraum von mir war, in einem Planwagen durch Irland zu ziehen. Auch wollte ich mir einen 2CV zutun und anmalen. Ich hatte immer ein bisschen das Bedürfnis herumzuzigeunern und gleichzeitig mich selber zu versor-gen.“

„Früher lebte ich ganz anders, war in einer Blockwohnung aufgewachsen. Seit meiner Kindheit wollte ich in alten Häusern wohnen und habe ab und zu das Bedürfnis, alles selber zu machen. Auch Töpfern, Stricken und Häkeln. Immer sammelte ich Zeugs, welches man vielleicht einmal brauchen konnte oder auch nicht, welches ich weitergab oder anderes daraus recyklierte. Das Sammeln hatte in diesem Haus von Werner’s Vater her schon Tradition.“

„Als ich zum ersten Mal in diesem Haus war, hatte mich dieser Lebensstil von Anfang an fasziniert. Damals ist bei mir der Zwanziger runter. Seither habe ich das Bedürfnis, von diesem ersten Eindruck etwas zu erhalten und für eine andere Generation herüberzubringen, sofern dies möglich ist.“

„Das Sammeln verschiedenster Kräuter war immer mein Hobby. In der Lehre zur Apothekenhelferin musste ich 100 Kräuter auseinanderhalten, auf Lateinisch beschrif-ten und ihre Wirkstoffe auswendig kennen.“

„Was ich nicht roh esse, konserviere oder einfriere, verarbeite ich zu Schnaps. Die Chriecheli-  und Wermutliköre sind sehr süffig, man muss aufpassen.“

„Viel Geld war nie vorhanden, das wusste ich von Beginn weg mit einem freischaffen-den Künstler. Mein Sammeltrieb ging beinahe ins Uferlose und gab mir etwas Sicherheit. Zudem machte ich Tauschhandel, für gebrauchte Kleider erhielt ich Produkte vom Bauern oder auch Geld.“

„Ich habe das Gefühl, wirklich zu leben und nicht in einer Scheinwelt. Man muss sich  mit einem einfachen Lebensstil etwas erarbeiten, auch einmal auf etwas verzichten oder auf etwas hin sparen. Auch darf man nicht über die Stränge hauen mit den Finanzen, damit man möglichst nicht in die Roten Zahlen kommt und man sich einfach nicht leistet, was man sich nicht leisten kann.
Es ergibt eine gewisse Befriedigung, dass man erfolgreich zirkeln kann. Das habe ich meiner Mutter abgeguckt. Von ihr habe ich das System der Notvorräte übernommen, obwohl ich es nicht so genau nehme wie sie.“

„Es existiert bestimmt ein Zusammenhang zwischen unrealistischen Erwartungen und sozialen Problemen. Oft muss jemand erst auf die Nase fallen, bevor er etwas einsieht. Viele haben Mühe, die verschiedenen Werte einzuschätzen. Plötzlich werden Dinge wieder modern, welche man eine Zeit lang als hinterwäldlerisch und von vorgestern betrachtet hatte.“

„Ich wünsche mir für das Rheintal Frieden, dass man miteinander gut auskommt und einander nicht missgünstig ist. Auch einen guten Ertrag des Bodens, keine uferlosen Überschwemmungen sowie einen nicht zu grossen Bauboom. Diesen Fehler hatte man im Zürcherischen gemacht; all die schönen Grünzonen mit, heute würde man   Biobauernhöfe sagen, wurden alle überbaut und man musste aus dem Häusermeer in die Berge fliehen.“